Die eindrucksvolle Aufführung des Dramas “Woyzeck” forderte die Abiturienten heraus

Ein ausdrucksstarker „Woyzeck“ fordert Schüler heraus

Als „Woyzeck“ zog Julian König vom THEATERmobileSPIELE  Karlsruhe in einem eindrucksvollen Kammerspiel  Schüler des Erich-Kästner-Gymnasiums und des Freihof Gymnasiums in den Bann dieser abgerissenen Figur von Georg Büchner. In einer Ecke des Musiksaals des EKG war eine bedrückende Kulisse aus Überresten eines inneren und äußeren Krieges, aus einem Berg von grauen Altkleidern aufgebaut. Darin ereignete sich die verstörende Darstellung einer verstörenden Welt, aus der im Laufe des Stückes die Figuren einer bedrohlichen Gesellschaft als fratzenhafte Stabpuppen auftauchten. Mit atemberaubender Schauspielkunst wechselte Julian König zwischen Woyzeck, den er verkörperte, und den Rollen des Doktors und des Hauptmanns, die er als Puppen zum düsteren Leben erweckte. So wurde es ein Spiel mit sich selbst, ein innerer Kampf zwischen der eigenen Zerrissenheit und den Forderungen der Gesellschaft. Diese Stabfiguren, von einem professionellen Puppenbauer als ausdrucksstarke, augen- und  seelenlose Horrorgestalten angelegt, tyrannisieren den mittellosen Soldaten Woyzeck. Sie nutzen seine prekäre Situation aus für Dienstleistungen und  für medizinischen Versuche. Dabei leben sie auch ihre vermeintliche moralische Überlegenheit und  ihre Machtphantasien an ihm aus. Das wurde durch bedrohlich verzerrte Stimmen aus dem Off unterstrichen. So wurde Woyzecks Umgebung zu einer nicht fassbaren, absurden Welt. Und die verirrte, verwirrte Seele Woyzeck verwickelte sich immer mehr in einem Käfig aus Zäunen und Wahngedanken, aus Abhängigkeiten und Not. Denn da ist auch noch seine Freundin Marie, Mutter des gemeinsamen Sohnes, für die er ja sorgen will, für die er sich abhetzt und müht, der er aber keine wahre Zuwendung schenken kann, weil keine Gefühle mehr übrig sind. Bedroht wird diese Beziehung durch die Avancen  des großen und übermächtigen Tambourmajors gegenüber Marie, die beide ebenfalls als Puppenfiguren ins Spiel kommen. Gegen die glänzenden Ohrringe und schmeichelnden Worte, die der Major Marie schenkt, hat Woyzeck keine Chance. Und so sinkt Woyzeck immer tiefer in die graue, staubige, depressive Bodenwelt. Er wird vom Subjekt zum Objekt, zum „Indiviehduum“, während der Doktor und der Hauptmann von Freiheit und Moral schwadronieren. Um dies zu unterstreichen, wird die Textvorlage in dieser Inszenierung streckenweise wie eine Collage eingesetzt, als Stimmengewirr aus Gerüchten und Vorwürfen, aus Bibelstellen und Märchen, als Ausdruck einer zerrissenen Welt, in der nichts mehr zusammenpasst. Woyzeck, der sich nicht wehren kann, entwickelt immer stärkere autoaggressive Züge, denn aus seinem Albtraum gibt es kein Erwachen – bis sich die Spannung nicht im Widerstand gegen die Gesellschaft, sondern im Mord an Marie entlädt. Im Totentanz des grotesken Figurenkabinetts breitet sich eine unheimliche Stille aus, in der Julian König als Woyzeck die zentralen Sätze des Stücks an die Schüler richtet: „Bin ich ein Mörder, hä? Guckt euch selbst an!”.  Die Inszenierung von Regisseur Thorsten Keilos hebt – auch durch Anklänge an Borcherts „Draußen vor der Tür“ – die zeitlosen, aktuellen Aspekte des Stücks heraus. Die Schüler folgten fasziniert dem Stück, das im Jahr 1836 als Fragment entstanden ist, weil Büchner es – selbst Opfer der politischen Verhältnisse – wegen seines frühen Tods nicht vollenden konnte. Das EKG hatte die Aufführung an die Schule geholt, um den Jugendlichen den Abiturstoff auf anschauliche Weise aus der Sicht der Hauptperson zu vermitteln und für sie lebendig zu machen. In der anschließenden Diskussion mit den Schülern des Abiturjahrgangs zeigte Julian König, dass „Woyzeck“ ein Stück ist, das auch wegen seiner Anspielung auf „Femizide“ sehr anspruchsvoll zu spielen ist.  Aber es sei auch wichtig, den Menschen eine Stimme zu gehen, die keine Stimme mehr haben, die nichts mehr zu verlieren haben. Bei den Schülern ist ihm das an diesem Morgen gelungen, in einer Inszenierung, bei der die Jugendlichen auf Tuchfühlung gehen konnten mit herausfordernder Theaterkunst.

    Autor: Weber
    Fotograf: Weber