Als Reporter unterwegs: Im Rahmen des Projektes “Wir lesen” der NWZ besuchte die Klasse 9b die Synagoge in Stuttgart und veröffentlichte einen großen Artikel darüber in der Zeitung

Auf S. 26 der NWZ vom 05.08.2022 erschien der Artikel der 9b

Die 9. Klasse des EKG erlebte die Stuttgarter Synagoge

Zum Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ hat sich die Klasse 9b des Erich Kästner Gymnasiums in Eislingen im Religionsunterricht mit dem Judentum beschäftigt. Und im Geschichtsunterricht war die Verfolgung ein Thema. Aber wie leben Menschen heute ihren jüdischen Glauben in Baden-Württemberg? Das wollte die Klasse genauer wissen und ist deshalb zur Synagoge nach Stuttgart gefahren. Begleitet wurden sie von ihrer evangelischen Religionslehrerin Kathinka Korn und ihrer Ethiklehrerin Fatma Kut. Vor Ort ist den Jugendlichen gleich aufgefallen, dass es im jüdischen Gemeindezentrum auch noch eine Grundschule und eine Kindertagesstätte für Kinder aller Religionen gibt und ein koscheres Restaurant. Hannes hat festgestellt, dass die Gemeindemitglieder nicht nur ihren Glauben, sondern auch ihren Alltag teilen: „Das ist wirklich eine Gemeinschaft!“

„Ich finde es voll krass, dass zur jüdischen Gemeinde in ganz Württemberg nur 3000 Menschen gehören“, meinte Louis. Bis 1933 waren es noch 4500 Juden allein in Stuttgart, das war ein Prozent der Bevölkerung. Die Wurzeln der Gemeinde in Stuttgart reichen fast 700 Jahre zurück. Riona kann nicht verstehen, wieso es immer wieder zu harten und unmenschlichen Verfolgungen kam: „Das ist doch eine friedliche, gewaltfreie Religion!“ Deshalb hat es die Schülerinnen und Schüler auch betroffen gemacht, wie gut der Eingang des Gebäudes heute noch gesichert sein muss.

Avi Palvari, ein Referent der jüdischen Gemeinde, führte die Klasse durch die Synagoge und wechselte dabei zwischen deutscher und englischer Sprache, damit auch die neue ukrainische Mitschülerin folgen konnte. Und auch einige Redewendungen aus dem Jiddischen flossen mit ein: So erklärte der Referent, dass „der gute Rutsch“, den man sich zu Silvester wünscht, eigentlich von „Rosch“ kommt, was „Anfang“ bedeutet. Also wünscht man sich eigentlich einen guten Anfang des neuen Jahres. Der jüdische Neujahrstag heißt Rosch ha-Schana.

Die Führung begann mit einem Rückblick auf die alte, prächtige Synagoge, die ab 1857 erbaut worden war. Im November 1938 wurde sie von hasserfüllten Nationalsozialisten angezündet. Es hat Luna besonders bewegt, dass die Feuerwehr beim Löschen nur die Nachbarhäuser geschützt hat und am nächsten Tag die Synagoge sogar gesprengt wurde. Auf der anderen Seite war es eine Stuttgarter Familie, die die Steintafeln mit den 10 Geboten aufbewahrt und nach dem Krieg an die jüdische Gemeinde zurückgegeben bat. Diese Tafeln wurden in die Mauern der neuen Synagoge eingelassen, die 1950 auf dem Fundament des alten Gebäudes errichtet wurde. Die Jugendlichen durften die Synagoge auch von innen besichtigen. „Es ist beeindruckend, wie viele Symbole in der Synagoge sind, die alle etwas Besonderes bedeuten, z.B. die Leuchter“, meinte Dorian.

Für Eva war es ungewohnt, dass Frauen und Männer in der Synagoge in getrennten Bereichen sitzen und beten. „Ist das noch zeitgemäß?“ fragt sie, aber Sarah kann darin durchaus etwas Fortschrittliches sehen: „Die Frauen sitzen ja oben über den Männern, das ist ja auch ein Zeichen von Respekt. Und Frauen haben so ihren eigenen, geschützten Bereich.“ Männer müssen in der Synagoge eine Kippa, eine Kopfbedeckung tragen, das hat sich Jili gemerkt: „Als Zeichen der Ehrfurcht, damit etwas zwischen ihnen und Gott ist.“ Deshalb haben auch die Jungs aus der Klasse in der Synagoge eine Kippa getragen.

Wie sehr der jüdische Glauben im Alltag verwurzelt ist, ist Jana aufgefallen. An jeder Tür hängt eine Mesusa, eine kleine Hülle, in der das zentrale jüdische Gebet geschrieben steht. Wer den Raum betritt, berührt die Mesusa und denkt dabei an Gott.

Der Referent Avi Palvari hat den Jugendlichen viele Rituale und Feste des Judentums erklärt. So hat er den Gebrauch des Gebetsmantels und der Tefillin, der Gebetsriemen, vorgeführt. Dass die zehn Gebote die zentralen Regeln des Judentums sind, war den Schülerinnen und Schülern klar. Aber warum regeln 612 weitere Gebote den Alltag? Darüber wollte Luka diskutieren. So wurde ihm aber klar, dass es in seinem Leben mindestens so viele Regeln und Gesetze gibt. Das Judentum versteht die Gebote als Richtschnur und Halt im Leben.

Im Mittelpunkt der Synagoge stehen die prachtvoll geschmückten Tora-Rollen, die hinter einem Vorhang verborgen bleiben. Die Schüler durften aber eine für Übungszwecke genutzte Schriftrolle betrachten. Nicht nur Annie war beeindruckt von der Größe der Schriftrollen: „Das dauert sehr lange, bis der Schreiber die fünf Bücher Mose von Hand mit einer Feder auf Pergament geschrieben hat!“ David hat sich gemerkt, dass der hebräischen Text über ein ganzes Jahr verteilt im Gottesdienst vorgelesen wird. Warum man die Tora nicht mit den bloßen Händen berühren darf aus Respekt vor dem wertvollen Wort Gottes, das kann Clarissa jetzt viel besser verstehen. Und Laura kann nun auch nachvollziehen, warum es ein ganzes Jahr braucht, um sich auf die Bar Mizwa vorzubereiten, den Tag nach dem 13. Geburtstag, an dem ein Junge zum ersten Mal in der Synagoge aus der Tora vorliest.

„Man sollte wirklich Bescheid wissen über das Judentum!“, war sich Riona nach der Führung sicher. Und Sarah versteht jetzt die zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Christentum besser. Viele Feste und Symbole des Christentums haben ihre Wurzeln in jüdischen Traditionen. Beide Religionen sind eng miteinander verwandt.

Klasse 9b, Erich Kästner Gymnasium Eislingen

    Autor: Klasse 9b
    Fotograf: Louis Weber, Johannes Häderle